Stell Dir vor, morgens halb zehn in Deutschland in einer random Büro Kaffeeküche (ich glaube es heißt eigentlich Teeküche, oder? Sorry, habe sehr wenig Zeit in Büros und offensichtlich noch weniger Zeit in den zugehörigen Einrichtungen zur Zubereitung von Heißgetränken verbracht, in denen Tassen wie Socken in Waschmaschinen verschwinden, dafür aber überaus ansehnliche Edelschimmelpilzkulturen in versifften Energieklasse F minus Kühlschränken gezüchtet werden).

Ein paar Leute stehen im Halbkreis (sofern die Größe der Örtlichkeit das zulässt). In der rechten Hand jeweils einen Kaffeebecher auf dem so etwas steht, wie „Ohne mich läuft hier gar nichts!“, „Eier sucht man nicht, Eier hat man.“ oder „Pitsche, patsche, ich hab ein‘ an der Klatsche!“. Gnihihihi. Bemerkenswert, dass der Apostroph, oh ja es ist der nicht das Apostroph, beim verkürzten habe zu hab weggelassen wurde, ganz wie die StReSchreiKo – die ständige Rechtschreibe Kommission – es empfiehlt! 

In der linken Hand das Smartphone. Keines von Apple natürlich, denn bei dem Gehalt in dem lausigen Laden hier, kann sich das niemand leisten. Die Angebissener-Apfel-Logos auf den Handys in den Händen der Im-Kreis-Stehenden sind alle von WunschSticker24.de.

Anya (ja mit y, nicht mit j, war ein sehr smarter Move von Anyas Eltern Sabiene und Haralt, damit ihre Tochter, die Begnadete, den Leuten mit ihrem profanen Allerweltsnamen besonderen Vornamen im Gedächtnis bleibt), die Sekretärin des Abteilungsleiters (es sind immer Sekretärinnen, kenne kein Unternehmen in dem es Sekretäre geben würde, oh wait…parlamentarische Staatssekretäre, nur jeder 4. von denen ist eine Frau! Großartig, wie die Bundesregierung den gewünschten klassischen Rollenbildern bei der Stellenbesetzung entgegenwirkt. #fortschrittlich), Anya also hat sie besorgt und in mühevoller Kleinarbeit auf die Smartphones der Kolleg:innen geklebt.

Ist gut geworden. Auf Anyas Tasse steht übrigens: „Ich bin Sekretärin, weil Superheldin kein offizieller Job ist.“. I like! #daumenhoch

Da schon Mittwoch ist, gibt es nichts mehr zu erzählen. Auf Social Media und im Whats App Status auch nichts Neues. Schließlich sind seit dem letzten Check von Insta & Co. heute morgen alle auf der Arbeit. Aus lauter Langerweile machen alle Anwesenden ein Foto von oben von ihrem Kaffeebecher. Man sieht also den Kaffee im Kaffeebecher, die rechte Hand, die den Becher hält, und die nackten Füße des Kaffeebecherbesitzers (m/w/d). Es ist Sommer und es ist heiß, deswegen trägt niemand Schuhe. In der Kleidervorschrift der Firma steht etwas von Hemd und langen Hosen für die Herren, Damen dürfen auch in Rock oder Kleid kommen.

Von einem Barfußlaufverbot steht dort aber nichts. Deswegen sieht man auf vielen Kaffeetassenbildern auch behaarte Männerbeine, die aus einem Sommerrock mit frisch-frechem Blumendruck hervorschauen und eben barfuß auf dem pflegeleichten Büroteppichboden, Pantone Farbe Rainy Sad Office Gray, stehen. Anya hat ihn bei Poco besorgen müssen. Die Firma muss sparen.

In der Mittagspause postet Anya ihr Kaffeetassenbild auf ihrem Insta Account. #butfirstcoffee Während ihre Nägel noch trocknen, trudeln 21 Herzchen ein. #forevertwentyone Anya freut sich über jede einzelne Bestätigung von außen und hält am täglichen Kaffeetassenfoto für Insta fest. #habenwirschonimmersogemacht

Ein paar Jahre später hat Anya den Absprung geschafft. Längst ist sie nicht mehr Sekretärin bei der „Tausche Deine Lebenszeit gegen Geld“ GmbH, sondern ihr eigener Boss. Auf ihrem Kaffeebecher steht jetzt „Aus dieser Tasse trinkt nur die Bitch Bossin.“

Bei Jeanine – der Herr und auch die Prinzen Jeanines Eltern Gahbi und Klauß waren ihr gnädig – hat Anya einen Online Business Kurs gekauft für Frauen, die ihr Multi Millionenbusiness über Nacht von 0 auf 100 bringen wollen. Nicht auf 100 Kunden, sondern auf 100 Millionen Euro versteht sich. Schließlich heißt der Kurs „Ri ri richy bitchy teenie weenie richtig blödi“ Mega Monster Masterfirstclass für coole reiche Chef Schlampen…ähh rich boss bitches.

Der Kurs hat nur schlappe 95.000€ gekostet…äh sorry…Anyas Investment in den Kurs betrug nur 95.000€. Das klingt erstmal super viel, aber dabei war das noch der Early Bird Preis. Schon 1 Woche später mussten die nicht so cleveren, noch not so richy Bitches 105.000€ hinblättern.

Anya war da viel schlauer und der Kurs hat sich auch multi ausgezahlt. Sollte man bei dem Preis auch erwarten können, dass da was bei rumkommt, oder? Frage mich gerade ab wieviel Millionen man eigentlich von Multimillionär spricht? Ab mehreren Millionen klar, aber sind 2 Millionen schon Multi? Multivitamin Tabletten enthalten jedenfalls mehr als 3 Vitamine, diese unglaublich hässlichen praktischen Multifunktionshosen haben mindestens drölfzig Taschen und ein Multitalent sollte büschen mehr als nur anderthalb Sachen können, oder?

Wir einigen uns einfach auf multi gleich zehn, da kommt schließlich auch das Wort dekadent her, mein ich. Ok?

Komisch findet Anya nur, dass es trotzdem so viele Frauen gibt, die statt die Abkürzung zur Multimillion über die Lady Bitch Boss Money Mind & Masterclass Miracle Money Maker Academy zu nehmen, sich lieber in irgendwelchen langweiligen Mentorings von grauen Mäuschen schlauen Sparfüchsinnen ewig lang was über Rentenlücke, Risikobereitschaft, Sparrate und ETFs erzählen lassen und ihre Finanzen danach selbst in die Hand nehmen.

Selbst in die Hand nehmen? Dafür hat man als multiple Multimillionärin doch hoffentlich wohl Personal. Bisschen merkwürdig, dass die Jeanine noch alles selbst macht: Insta, You Tube, 1:1 Coachings und so. Macht ihr wahrscheinlich einfach unwahrscheinlich viel Freude Frauen zu den Multimillionen zu empowern.

Anya jedenfalls ist jetzt nicht nur bald multipel reiche Chef Schlampe in ihrem eigenen bald-sind-sie-da-die-Multi-Millionen-Euro Unternehmen, sondern empowered jetzt als Money Mindfuck Spiritual Money Cash Flow Coachin Multimillionen viele genau 2 andere Frauen ebenfalls ihre erste Multimillion zu machen.

Anyas Online Kurs ist ein bisschen günstiger als der von Jeanine, aber das ist genau der Preis, bei dem Anya morgens noch in den Spiegel schauen kann ohne zu kotzen.

Neben Motivationssprüchen in goldenen Glitzerbuchstaben postet Anya auch fleißig Fotos aus ihrem neuen, luxuriösen Leben. Die Followerinnen sehen Anya aus dem für 1 Stunde gemieteten Porsche winken, Anya in der frei zugänglichen Lobby im Adlon Kempinski Hotel einen Sekt schlürfen, Anya im von Jeanine geborgten Chanel-Kleid tanzen und Anya in Nahaufnahme damit man nichts von ihrem 1-Zimmer-Appartment in Berlin Marzahn im Insta Reel erkennen kann beim süßen millionaire’s lifestyligen Nichtstun.

Anya erzählt allerdings nie von einer Kundin, mit der sie gleich eine 1:1 Coaching Session hat oder teilt Stories in denen glückliche Kundinnen von ihren super Erfolgen bei Anyas Online Coaching Programmen berichten. 

Tja, that’s the German Datenschutz secret of the multi millionaire’s women business club. #dukommsthiernichtreindigga

Was Anya übrigens aber immer noch macht, ist täglich ein Bild ihres Kaffees in der Hand samt Füßen von oben in ihrer Instagram Story zu posten. Warum? Weil sie’s kann sie trotz der ganzen potenziellen Multi-Millionen am Boden geblieben ist. Fest, mit beiden Füßen! Und weil es sie an die alten Zeiten erinnert morgens um halb zehn in der Teeküche im Büro.

Das daily Kaffeebild in ihrer Story führte übrigens neulich zu gemeinen Hassnachrichten in ihrer Inbox. Eine Fiese Followerinnen warfen ihr vor, dass sie statt immer nur Kaffeebilder und nackte Füße zu posten, lieber mal was Richtiges arbeiten gehen sollte, statt ständig ihr nichtsnutziges chilliges Influencer – Leben zu zeigen.

Das führte natürlich dazu, wozu es immer führt, nämlich zu viel Mimimi über die Meinung einer null ernstzunehmenden, frustrierten Followerin, oh, wie gemein!

Mein Gott, soll die der Anya doch einfach ent-followen. Ich weiß, der Ich-folge-Dir-blöden-Kuh-jetzt-doch-nicht-mehr-wegen-Deiner-hässlichen-Füße-und-scheiß-Kaffeetasse-und-übrigens-ist-Kaffee-total-ungesund-und-beutet-Menschen-in-Guatemala-aus Button ist unheimlich schwer zu drücken. Einmal entfolgt und zack wirst Du jedes Multi-Millionen Millionärs Top Secret Geheimnis für immer verpassen! #armutsfalle

Was allerdings noch viel schlimmer ist: Du würdest dadurch auch die sich ans Mimimi anschließende #freeyourtoes Gegenkampagne verpassen. Und die hat sich gewaschen! Wochenlang postet die Anya dann nämlich Kaffeetassen-nackte-Füße-von-oben-Bilder all ihrer Followerinnen, die sich mit Anya und ihren Füßen solidarisieren und nun ebenfalls Kaffeetassen-nackte-Füße-von-oben-Bilder posten. #einfußfüralleallefüßefüreinen

Ein Fuß kommt übrigens selten allein. Und meistens auch nicht ohne Kaffeetasse. Zumindest auf Instagram.

Das Anya das werte Fräulein Anti-Fußfetischistin auch einfach hätte schulterzuckend auf stumm schalten oder auf Instagram blockieren können und so das Ganze überhaupt nicht in den Fokus hätte rücken brauchen, muss Anya erst noch lernen.

Aber da hat irgendeine coole rich bitch Jeanine mit zwei ‚e‘ bestimmt auch nen Online Kurs für. #nurnochheuteimsale 

Love, Tini

P.S. Jetzt aber interessiert mich noch Deine Meinung:

  • Blockieren wegen Kaffeetassenkritik gerechtfertigt oder überreagiert?
  • Was würdest Du Dir von Deiner ersten Multi-Million kaufen?
  • Richie Rich oder Rich Bitch?
  • Porsche 911er oder 718er Spyder Cabrio?
  • Kaffeepause im Büro um 9:15 Uhr oder erst um 9:45 Uhr?
  • Svenja mit v oder w?
  • Bist Du Team But first coffee oder Gib dem Leben einen Gin?
  • Sind Multivitaminpräparate mit Multivitamingeschmack gesünder?
  • Bei Schneeballsystemen mitmachen trotz Klimaerwärmung? Dumm oder dümmer?